Warum denn nicht Häuser sammeln?

Gesine Borcherdt, 2013

„Welt am Sonntag", 7. April 2013

Architekturausstellungen scheinen ein neuer Trend unter Berliner Galeristen zu sein. So werden Gebäudeskizzen zu Kunst. Jüngstes Beispiel: Zvi Heckers radikale Entwürfe bei Nordenhake

Der Kunstmarkt ist ja immer auf der Suche nach neuen Ideen. Bis vor ein paar Jahren zeigten Galerien am liebsten Künstler unter dreißig. Inzwischen können sie gar nicht alt genug sein – angesichts einer weitgehend zitatgesteuerten Gegenwartskunst ist die Wiederentdeckung vergessener Helden angesagt. Man wartet förmlich auf den Moment, in dem zeitgenössische Galerien Einladungskarten mit Rötelzeichnungen aus der Renaissance verschicken. Vielleicht ist der erste Bogen zurück zum Zeitalter des Universalgenies schon geschlagen, wenn sich nun der neueste Trend abzeichnet: Architekturausstellungen in Galerien.

Was sich für jeden Avantgarde-Konstrukteur als längst überfällige Liebesheirat darstellt, ist allerdings am Kunstmarkt keine sonderlich kommerzielle Angelegenheit. Wer dekoriert sein Zuhause schon mit Gebäudeskizzen, Materialproben oder Modellen in Vitrinen? Praktisch niemand. Doch unabhängig von der Frage, inwiefern Architektur Kunst ist, scheint es für Galerien reizvoll, sich eine Kennerschar jenseits der gewöhnlichen Klientel ins Haus zu holen. Der Fokus auf sprödem Konzept statt schnödem Kommerz sorgt zudem für Glaubwürdigkeit, zumal die Anregung oft von eigenen Künstlern kommt.

Es waren Isa Melsheimer und Christopher Roth, die ihre Galeristin Esther Schipper darauf brachten, letztes Jahr die aberwitzigen Entwürfe Claude Parents auszustellen – des 90-jährigen Entdeckers der schiefen Ebene, der einst mit dem Philosophen Paul Virilio am französischen Atlantikstrand durch umgestürzte Bunker kletterte und daraufhin Böden als Rampen und Dächer wie Halfpipes baute. Für die Ausstellung wurde eigens ein Kurator aus Paris angeheuert, das Ganze hatte den Touch einer kleinen Museumsschau – die entsprechend unkommerziell ausfiel und so gemeint war.

Ähnlich dachte die Galerie KOW, mit Sitz in Arno Brandlhubers umjubelter "Teutonic Favela", einem Para-Rohbau mit aufklappbarer Fassade an der lärmenden Brunnenstraße in Mitte. Letzten Herbst zeigte sie parallel zum Neuen Berliner Kunstverein Brandlhubers Recherchen zur jüngsten Berliner Stadtentwicklung: Zeitungsartikel über Gentrifizierung, Textzitate aus unerfüllten Hauptstadtvisionen von Rem Koolhaas und Hans Kollhoff – vorgetragen von Mitarbeitern – und ein gefluteter Keller verwandelten die Ex-Investorenruine in ein Labor, wo einzig ein "Plan zur Wiederherstellung der Berliner Mischung" für 19,99 Euro als Edition zu erwerben war. Verkauft wurde kein einziger.

Da hat Judy Lybke eine ganz andere Mission. Ab dem 9. April stellt er in seiner Zweitstation "Eigen und Art Lab" den gefeierten Jungbaumeister Jürgen Mayer H aus, der die Galerie durch Installationen, Wandarbeiten, Muster und Skizzen in eine Art perspektivisch verzerrtes Raumerlebnis verwandeln wird. Auch hier geht es weniger um den Verkauf einzelner Objekte. Denn Lybke plant auf lange Sicht, ganze Häuser zu vermitteln. "Ich will den Architekten aus seiner Dienstleistungsfunktion herausheben", meint er und zieht den Vergleich mit der Fotografie, die rund 150 Jahre brauchte, um gänzlich als künstlerisches Medium akzeptiert zu werden. Dabei wittert Lybke einen neuen Geschäftszweig. "Es gibt bereits erste Sammler von Häusern moderner Klassiker – wieso nicht auch von jüngeren Architekten?"

Vielleicht sollte er dazu Zvi Hecker befragen. Der israelische Architekt, 1931 geboren in Krakau, hat sich in Berlin je eine Wohnung seiner großen Vorbilder Alvar Aalto, Oscar Niemeyer und Felix Mendelsohn gekauft – wohnt allerdings selbst ganz simpel im Arbeiterbezirk Moabit. Fragt man ihn, welche jüngeren Architekten er schätzt, nennt er Jürgen Mayer H. Das Schwungvolle, Organische in dessen Bauten ist ihm nah, obgleich er selbst weitaus modulhafter und bescheidener arbeitet, ohne Hang zum überdimensionalen Loungemöbel. Und ohne Computer. Denken geht für ihn unmittelbar über in die gestischen Zeichnungen und Tuschemalereien, die noch bis zum 20. April erstmals öffentlich in der Galerie Nordenhake ausgestellt sind.

Den Anstoß gab auch hier eine Galeriekünstlerin: Marjetica Potrc setzte sich in ihren hausartigen Installationen zuletzt mit "Ramot Polin" auseinander – Heckers berühmten Siedlungsbauten aus den 70ern. Tatsächlich entfaltet sich die Qualität seiner Skizzen nur vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit als Architekt: Ein Phänomen, das für alle seines Fachs gilt – doch nicht jeder kann Heckers geistigen Überbau vorweisen.

Ende der 50er-Jahre begann er in Israel, wo er neben Architektur auch Kunst studiert hatte. Eines seiner ersten Projekte war ein arabisches Flüchtlingslager inJerusalem, für das er Häuser aus dem Stein der Umgebung, mit Terrasse und Kamin, integrierten Tischen und Bänken entwarf. Trotz ihrer Einfachheit waren sie so komfortabel und human proportioniert, dass er sich vom israelischen Bauminister eine Rüge einhandelte. Ein paar Jahre später entstand dann "Ramot Polin", was aussieht wie eine Anhäufung provisorisch zusammengezimmerter Baumhäuser und Bienenstöcke.

Das "polnische Dorf" ist ein Paradebeispiel für Heckers Gestaltungsprinzip: Orientierung an den geometrischen Grundformen der Natur. So reihen sich hier die Umrisse des Ahornblatts, ähnlich der offenen Hand, zu einem Muster, das man als Davidstern lesen kann. Immer wieder taucht in Heckers gestischen Entwürfen die logarithmische Spirale der Sonnenblume auf oder die liegende Acht der Möbiusschleife: Bilder für das Unvollkommene und Unendliche.

Man könnte Hecker als fertilen Dekonstruktivisten bezeichnen, der sich nicht als Zerstörer klassischer Komponenten sieht, sondern dem moderneskeptischen, naturnahen Credo der Arte Povera näher steht als Le Corbusiers zweckrationalistischem Wohnmaschinenvermächtnis. Tatsächlich erinnern das "Spiral Apartment House" in Ramat-Gan oder die Galinski-Schule in Berlin-Charlottenburg an die Iglus von Mario Merz, mit dem Hecker befreundet war.

Als einer, den mathematische Exaktheit allein als Grundlage des Naturprinzips interessiert, sagt Hecker Sätze wie "Nur Schönheit dauert an" und "Die Glasarchitektur brauchte 50 Jahre, um zur Sichtbarkeit zu gelangen, nur um dann von der Finanzwelt umarmt zu werden." Und er schreibt über den "Ruin Jerusalems durch Architektur" angesichts des systematischen Ausverkaufs der Stadt, die deren natürliche Struktur auf der Hügellandschaft zerstört – ähnlich, wie sich Brandlhuber über die Homogenisierung Berlins echauffiert.

Doch Heckers "Architettura Povera" entstand eben ein halbes Jahrhundert vor der smarten Berlin-Mitte-Ruine. Wie kompromisslos er seine Philosophie verteidigt, zeigte 1962 die "Technion Affäre": Damals verbog er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion sämtliche Fensterrahmen, die gegen seinen Willen in das "Aerospace Engeneering Lab" in Haifa eingebaut wurden und den gewünschten Lichteffekt im Innern zerstörten – man hätte sich diese Courage von Norman Foster gewünscht, als er die biedere Glaskuppel auf dem Reichstag abnickte.

Am ehesten merken muss man sich aber Heckers "Spiral Apartment House", das aus demselben billigen Stein gezimmert wurde, wie ihn Araber gerne für Geschäfte und Restaurants einsetzen. Ein bisschen wirkt er wie ein derangierter Turm zu Babel, den ein Wirbelsturm zum Sperrmüllhaufen zusammengefegt hat. Als Saddam Hussein 1991 Tel Aviv bombardierte, behaupteten Experten, das Haus sei wohl nicht mehr zu retten – dabei war es gar nicht kaputt. Vor solchen Szenen sehen Heckers Bilder kaum noch wie Architekturskizzen aus. Und darum gehören sie auch in eine Galerie.

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